Notsituation, Fluchtrucksack, Survival Kit, INCH Pack etc. sind für die allermeisten hier wahrscheinlich Begriffe die nicht näher erläutert werden müssen. Schließlich sind sie in einschlägigen Survival- sowie Prepperforen, Blogs und Youtubekanälen allgegenwärtig. Ein ordentliches Bug Out Bag gefüllt mit allerlei nützlichen (Tactical) Gear gehört zur Standardausstattung und es wird beinahe der Eindruck erweckt, dass man nicht zur Szene gehört wenn man sowas nicht griffbereit vorhält. Gepaart mit ein paar bushcraftigen Skills wie z.B. Feuer machen, Shelterbau, primitive Jagdtechniken, etc. scheint man für die meisten länger andauernden Not- und Krisensituationen halbwegs gerüstet, wobei üblicherweise ein Aufenthalt im Wald empfohlen wird welcher das Patentrezept zur Überwindung bzw. zum Aussitzen eben dieser Notsituation zu sein scheint.
Aus aktuellem Anlass hab ich mich gerade mit diesem Thema zumindest gedanklich beschäftigt. War zuletzt am Bahnhof und da gabs einen abgesperrten Bereich, wobei die Absperrung aus einem Streifen 5cm breiten roten Plastik-Signalband bestand. Dahinter viele Leute, welche sich optisch doch recht deutlich von den durchschnittlichen Reisenden und Touristen unterschieden. Hier wartete offensichtlich eine Anzahl asylsuchender Flüchtlinge auf Weiterreise, Registrierung etc. Habs leider verabsäumt mit einigen zu sprechen, das rote Absperrband hat seine abschreckende Wirkung zumindest bei mir erfüllt. Hatte aber dennoch etwas Zeit um mir die Ausrüstung der Leute aus der Distanz anzusehen. Die meisten waren mit schlichten Handtaschen, kleinen Sporttaschen oder Köfferchen und Tagesrucksäcken ausgestattet aber teilweise auch nur mit 1-2 Plastikbeuteln. Riesige Reisekoffer oder großvolumige Trekkingrucksäcke waren bei keinem zu sehen. Der Vergleich mit meinen Reisegewohnheiten drängte sich zwangsläuftig auf und ich muss zugeben dass ich eigentlich nie derart 'ultralight' auf eine ausgedehnte Reise gehe welche im Einzelfall bei diesen Leuten durchaus über mehrere tausend Kilometer bzw. Wochen geht.
Eine Flucht über weite Distanzen erscheint mir als taugliches Beispiel für eine permanente Not- und Survivalsituation, was mich ausgesprochen neugierig machte. Mich interessiert sehr wie sich die Betroffenen z.B. darauf vorbereiten, was sie mitnehmen und ihr Vorhaben dann ausführen. Zu Hause habe ich dann ein wenig recherchiert, wurde auch rasch fündig und war dann umso mehr verblüfft.
Auf den Fotos welche im Internet gepostet sind findet man die üblichen 'Must-Have' Ausrüstungsteile aus der Survivalszene vergebens! Keiner hat ein fixed Blade Messer oder einen Feuerstahl dabei, ohne diese Sachen verläßt ein Bushcrafter erst gar nicht das Haus. Campingausrüstung wie Schlafsack u. Zelt ist nur sehr spärlich vorhanden und wenn ein (offensichtlich billiges) Zelt mitgeführt wird, so teilen sich dieses gleich mehrere Personen. Selbst simple Wolldecken sind nicht immer im Gepäck, eine Tarpplane z.B. konnte ich nicht sehen. Eine Edelstahlwasserflasche welche auch zum Wasserabkochen taugt sah ich ebenso wenig, dafür umso mehr PET-Flaschen oder simple Tetra-Packs. Da wunderts auch wenig, dass ich keinen Wasserfilter, Hobokocher etc. entdecken konnte.
Überraschenderweise hat jeder Flüchtling technische Kommunikationsgeräte bei sich, teilweise sogar mehrere Smartphones mit unterschiedlichen SIM Cards, Powerpacks zum Wiederaufladen unterwegs, einige wenige sind sogar mit PMR-Funkgeräten ausgestattet. Kommunikation z.B. mit Verbliebenen zu Hause, Kontaktpersonen am Ziel, Mitreisenden etc. scheint offensichtlich essentiell zu sein. Neben ein paar spärlichen Hygieneartikel hat auch beinahe jeder Medikamente bei sich. Bargeld oder Kreditkarten sind zwar auf auf beinahe keinem Foto zu sehen, es ist aber offensichtlich dass Zahlungsmittel mitgeführt werden, verfolgt man die Berichterstattung aufmerksam. Reisedokumente, manchmal nur in Form von ein paar Registrierungszetteln sind dabei, einige Notizen über div. Rechte in den unterschiedlichen Ländern finden sich ebenfalls, aber bereits spärlicher. Selbst (wärmende) Ersatz- oder Wechselbekleidung hat längst nicht jeder mit. Selbstverständlich hat auch der eine oder andere persönliche Gegenstände mit eher sentimentalem Wert für den Inhaber.
Meine Packlisten für ein Bug Out Bag oder einen INCH Fluchtrucksack unterscheiden sich doch recht deutlich von denen der asylsuchenden Migranten und dass nicht nur im Umfang. Teilweise sind sie ja zu Fuß unterwegs und campieren im Freien und es drängt sich zwangsläufig die Frage auf wie zum Teufel können diese Menschen derart weite Strecken zurücklegen so ganz ohne Survival Gear? Fehlt es etwa am Know-How oder der Verfügbarkeit von passendem Equipment oder anders herum: Ist das Equipment welches hier unter Survivalisten üblicherweise als essentiell betrachtet wird tatsächlich auch zwingend notwendig in Flucht- bzw. Notsituationen? Am Beispiel der Asylsuchenden offensichtlich nicht und deshalb drängt sich eine weitere Frage auf: Laufen unsere üblichen Vorbereitungen auf Notsituationen bereits in eine falsche Richtung und muss hier z.B. am Equipment oder den Skills (siehe Wissen zur Gesetzeslage) wass adaptiert werden? Hat meine bzw. unsere Preparedness schon einen zu hohen Level erreicht, den es event. gar nicht braucht? Sind die gängigen Fluchtszenarien mit 'Alleine ab in den Wald' Taktik mit sämtlichen Zeug was dafür erforderlich ist tatsächlich auch umsetzbar oder bereits obsolet? Bringt die Taktik der Migranten welche mit leichtem Gepäck recht beweglich erscheinen und sich zu kleineren und auch größeren Gruppen zusammenschließen nicht weitaus mehr Vorteile für den Einzelnen?
Würd mich sehr interessieren was Ihr drüber denkt? Ersuche aber sich auf das Thema und meine Fragenstellungen zu konzentrieren. Bitte vermeidet weltverbessernde u. politische motivierte Kommentare, sie können nur sehr wenig zu einer sachlichen Diskussion beitragen - danke Euch dafür schon im Voraus.