Ich möchte hier einmal eine kleine Abhandlung zum Thema Geweih liefern, nach Holz und Leder mein Lieblings-Rohstoff für draussen. Wenn einer aus dem BCP-Team meint, es gehöre woanders hin, bitte nicht zögern, es zu verschieben.
Zunächst einige grundsätzliche Informationen:
Als Geweih wird ein sekundäres Geschlechtsmerkmal der männl. Hirschartigen (Cerviden) bezeichnet (Ausnahme: weibl. Rentiere tragen ebenfalls Geweih). Das Geweih wird im Gegensatz zu z.B. Hörnern bei den Hornträgern (Boviden) jedes Jahr abgeworfen und wieder neu gebildet - somit ist Geweih auch ein geeigneter Rohstoff für Vegetarier/Veganer (quasi ein doppelt nachwachsender Rohstoff: Die Geweihe wachsen nach und die Tiere, die Geweihe bilden, wachsen auch nach... ). Hörner wachsen Jahr für Jahr ein Stückchen und werden länger, so dass an der Anzahl der Segmente/Ringe das Alter des jew. Tieres abgeschätzt werden kann. Dies ist bei der isolierten Betrachtung eines Geweihes meist kaum bzw. nur näherungsweise möglich.
Hörner bestehen, wie der Name schon sagt, aus Horn. Genaugenommen aus einem Hornschlauch, der sich auf einem Knochenzapfen befindet. Geweihe wiederum bestehen aus Knochensubstanz (der Jäger spricht beim Reh übrigens vom "Rehgehörn", aber natürlich handelt es sich hierbei auch um ein Geweih). Solange das Geweih aufgebaut ("geschoben") wird, ist es von einer stark durchbluteten Hautschicht, dem sog. Bast, umgeben (dieser dient dem Nährstofftransport). Man spricht dann in der Jägersprache vom Bastgeweih, das Stück Wild "befindet sich noch im Bast". Ist der Geweihaufbau abgeschlossen, trocknet die Basthaut ein und wird vom jew. Tier "verfegt", also an Büschen/Zweigen abgestreift. Reste hängen dann manchmal noch eine ganze Weile vom Geweih herab. Das Geweih ist eigtl. knochenfarben, jedoch wird durch das Verfegen eine schöne dunkle "Patina" aus Blut (der Jäger spricht hier von "Schweiß") und v.a. Pflanzensäften erzeugt.
Nach der Brunft werden die Geweihe abgeworfen, der Zyklus beginnt von vorn.
Rohstoffbeschaffung:
Die Abwurfstangen können nun gesammelt und verwendet werden. Man sollte sie frühzeitg finden, da sie mit fortschreitender Verwitterung nicht mehr so gut geeignet sind. Man unterscheidet Stangen-/Sprossen- und Schaufelgeweihe sowie diverse Unter- und Mischformen. Hier in unseren Breiten hat Damwild Schaufeln, sowie nördlich der Elch (es gibt aber auch Stangenelche). Geweihe darf man nicht einfach so an sich nehmen, dies obliegt nur dem Jagdausübungsberechtigten - sonst ist es Wilderei. Man sollte sich also mit dem örtlichen Jäger absprechen, vielleicht hat der sogar noch einige Altgeweihe rumliegen. Auch möglich, dass der Jäger von einem Hirsch schon seit Jahren die Abwurfstangen sammelt (wenn man 2 zu einander gehörende hat nennt man diese "Passstangen"), das sollte man auch klären bevor man sich dort Ärger einhandelt.
Unsere Hirschartigen werfen ihre Geweihe wie folgt ab:
Rehböcke: Oktober - Dezember
Damhirsche: April/Mai
Rothirsche: Februar - Mai
Sikahirsche: März/April
Je nach Habitat wird man wohl v.a. auf Rehgeweihe stoßen, gefolgt von Damwildschaufeln. Rotwild kommt bei mir im norddeutschen Raum nur in größeren zusammenhängenden Waldgebieten vor. Vom Sikawild gibt es ledigleich einige Splittervorkommen.
Verarbeitung:
Geweih ist ähnlich einem Knochen zu sehen, vielleicht nicht ganz so stabil aufgrund des schnellen Substanzaufbaues. Die Verarbeitung fällt leicht, es läßt sich gut sägen und schleifen, ähnlich einem spröden Hartkunststoff. Es stinkt nur mehr beim sägen (u.v.a. beim Schleifen am Bandschleifer)... Es läßt sich auch schnitzen. Beim Bohren muß man auf Ausbrüche achten an der Stelle, wo der Bohrer wieder aus dem Material heraustritt. Ansonsten geht auch dies unproblematisch, wobei gebohrte Löcher häufig noch nachbearbeitet werden müssen da sie innen sonst zu rau sind.
Nachteilig für die Verarbeitung ist der oftmals poröse Kern der Geweihstangen, v.a. Schaufeln sind oft schwierig in der Handhabung. Für Zunderbehälter und ähnliches tunke ich die Enden daher noch (zur Sicherheit) in flüssiges Wachs. Ist meistens jedoch nicht nötig. Für Knöpfe etc. empfiehlt es sich, die Außenseiten des Geweihes zu nutzen und nicht den Querschnitt - Ausbrüche aufgrund des porösen Kerns wären ärgerlich, zudem sieht die "geperlte" und braun-melierte Oberfläche auch ansprechender aus.
Für den Bau eines Zunderbehälters gehe ich beispielsweise wie folgt vor: Zunächst ein schönes, möglichst gerades Stück aus einem Damwildgeweih aussuchen und heraussägen, Länge je nach Bedarf (mind. 10cm). Etwa 3-4cm von einem Ende noch einmal quer durchsägen. Nun mit einer Anreißhilfe wie beidseitig gespitztem Nagel die Mitte beim Teilstück A markieren und Teilstück B draufdrücken - so ist gewährleistet, dass die Bohrung später zueinander passt und keine Kanten an der Oberfläche zu fühlen sind. Nun nimmt man einen passenden Korken für seinen Forstnerbohrer, bzw. einen passenden Forstnerbohrer für seinen Korken... Mit dem Forstnerbohrer in beide Teilstücke ein Loch bohren (max. Bohrtiefe vorher ermitteln) und in das kleinere Teilstück den Korken, ggfs. mit etwas Klebstoff, einbauen. Nun wachse ich den Korken, dann geht das Einpfropfen einfacher, zudem hilft es bei der Wasserdichtigkeit. Tests 1m unter Wasser für einige Stunden verliefen positiv - so ein Ding ist wirklich dicht. Nun können an den Enden noch Löcher für Paracord oder Lederriemen eingebohrt werden und fertig ist unser rustikaler Zunderbehälter.
Wenn man Glück hat und das Horn ist auch im Kern noch recht stabil ausgebildet, kann man sogar mit einem Gewindeschneider ein Gewinde einziehen, dann würde ich aber noch eine Dichtung in irgendeiner Weise (z.B. rund ausgeschnittenes Leder mit großem Loch in der Mitte, wie ein eckiger O-Ring) empfehlen.
Beispiele für Gegenstände/Behelfe aus Geweih:
Messergriffe
div. Behelfswerkzeuge
Ringe
Griffe (z.B. für Feuerstähle)
Knöpfe/Verschlüsse/Knebel
Besteck
Behälter (z.B. für Zunder)
Stopper für Seile/Leinen
Ahlen/Nähnadeln/Angelhaken
Ich hoffe, ich habe nicht zu viel vergessen und es sind für den einen oder anderen nützliche Infos dabeigewesen. Fotos muß ich noch nachliefern, werde die Tage welche machen.
Nachtrag: Hier nun schon einmal einige Fotos, ich hatte leider nicht mehr Zeit, daher folgen immer wieder mal welche...
Basis eines Damhirschgeweihes, für einen Behälter benöitgt man 3cm aufwärts.
Geweihe von Damspießern sind gut als Knebel geeignet, ebenso als Griffe für z.B. Schnitzmesser oder als Ahlenhefte
Hier ein Beispiel für einen Zunderbehälter
Zunderbehälter geöffnet: In den Korken kann man auch noch Nähnadeln oder Ahlen stecken
Der poröse Kern einer Damwildschaufel