Eines vornweg: Dieser Artikel wird mit Sicherheit keine Antwort auf die omnipräsente Frage "Ist Ausrüstung wichtiger als Wissen (oder umgekehrt)?" erbringen, aber hoffentlich ein wenig Verständnis ermöglichen. Um das Thema Gearwahn und Gearphobie mal aufzurollen, haken wir es doch mal an einer wissenschaftlich erwiesenen Theorie fest: Das sog. "Gesetz vom Minimum", von Carl Sprengel und (bekannter) Justus von Liebig veröffentlicht. Es besagt, dass der (Ertrags-) Faktor der in geringster Menge vorhanden ist und nicht ersetzt werden kann, für den Erfolg einer Aktion verantwortlich ist und auch nicht durch erhöhen der anderen Faktoren substituiert werden kann.
Beispiel aus der Anwendung: Eine Pflanze braucht im Regelfall Nährstoffe, Wasser und Sonnenlicht. Steht eine Tomate im Schatten, kann man die Düngerdosis verdoppel, der Mangel an Sonnenlicht wird den Ertrag stark mindern.
Beispiel, abgewandelt auf das Kernthema Bushcraft: Eine Person, die mit einem Mora vor einem Reh steht, und es nicht ausnehmen kann, wird auch mit einem Chris Reeve Custom scheitern. Im Umkehrschluss wird eine Person, die ein Reh mit einem Mora ausnehmen kann, es auch mit einer Glasscherbe schaffen. Letztlich wird auch der beste Waidmann ohne Schneidwaren irgendwie gearteter Natur unverrichteter Dinge abziehen...
Definitionen
Es gibt mehrere Faktoren, die Zutreffen können, ich gehe im Beispiel von 3 Faktoren (Material, Werkzeug, Wissen) auf Basis des Beispiels totes Reh aus.
Es gibt 3 Zustände:
Idealfall: Alle Faktoren sind vorhanden, der Ertrag ist das erzielte Maximum
Eingeschränkter Faktor: Einer oder mehrere Faktoren sind nicht vollständig oder müssen substituiert werden, eingeschränkter Ertrag
Fehlender Faktor: Einer oder mehrere Faktoren sind nicht verfügbar, der Ertrag ist auf ein Minimum reduziert und fällt ganz aus
Auswirkungen auf das Fallbeispiel:
Idealfall: Die Person hat ein scharfes Messer, ein gesundes erlegtes Reh und weiß wie sie an das Fleisch kommt und das Tier fachgerecht zu zerlegen ist
Eingeschränkt 1) Die Person hat ein scharfes Messer, ein gesundes erlegtes Reh aber weiss nicht genau wie sie am besten an das Fleisch kommt: Der Ertrag wird geringer ausfallen
Eingeschränkt 2) Die Person hat ein scharfes Messer und weiß wie sie an das Fleisch kommt, das Reh ist aber ein Roadkill, der nur wenig übrig lässt.: Der Ertrag wird geringer ausfallen
Eingeschränkt 3) Die Person hat ein gesundes erlegtes Reh und weiß wie sie an das Fleisch kommt, hat aber kein Behelfsmesser: Der Ertrag wird geringer ausfallen
Ausfall 1) Die Person hat ein scharfes Messer, ein gesundes erlegtes Reh aber weiß absolut nicht wie sie an das Fleisch kommt: Der Ertrag fällt aus
Ausfall 2) Die Person hat ein scharfes Messer und weiss wie sie an das Fleisch kommt, aber das Reh ist entkommen: Der Ertrag fällt aus
Ausfall 3) Die Person hat ein gesundes erlegtes Reh und weiss wie sie an das Fleisch kommt, hat aber keine Klinge oder etwas um sie zu substituieren: Der Ertrag fällt aus
Betrachtung:
Wir haben ein Optimum, dass erreicht werden kann, wenn Ausgangsmaterial, Werkzeug und Kenntnis auf einem stabilen Level ist. Je weiter man sich von diesem Optimum entfernt, desto geringer wird der Ertrag. Der Ertrag wird aber, im Regelfall, erst dann gegen 0 tendieren, wenn ein Faktor komplett negiert wird / fehlt. Der Ertrag, den man erhält, ist die limitierte Schnittmenge dessen, was man aufwendet. Die Schwankungen des Ertrages sind stufenlos und das damit verbundene Erfolgsempfinden nicht objektiv ermittelbar.
Fazit:
Und hier kommen wir wieder zum Eingangsthema. Ein Optimum des Ertrages erreicht man nur, durch Optimierung aller Faktoren. Man kann alle Faktoren mit Alternativen substituieren, dies mindert den Ertrag statistisch gesehen, aber auf das etwaige Erfolgserlebnis hat dies keine Auswirkung. Die Gewichtung, ab wann jemand mit seinem Ertrag zufrieden ist, kann nur die Person selbst erbringen. Einen der Faktoren allerdings zum Platzhirsch zu erhöhen, ohne den es nicht geht, ist ebenso falsch wie kurzsichtig, denn wie oben aufgeführt: Kein Faktor kann das Fehlen des anderen substituieren. Und auch die Lesart, seinen präferierten Faktor zu puschen und die anderen nur als Notwendigkeit am Rande mitzuführen mag in der Praxis funktionieren, vom Optimum und somit dem was man anderen gegenüber propagieren sollte, ist es weit entfernt.