Vor einiger Zeit, zog es mich mal wieder raus, in die fast unberührte Landschaft des teil-kultivierten Waldes in meiner Nachbarschaft.
Nach einer 4 stündigen Wanderung kam ich an mein Ziel „Auenland am Elbestrand“ - zwischen Coswig und dem nördlichen Ende von Dessau. Ich wollte gerade mein Lager zwischen zwei „Dünen“ in einer kleinen Bucht errichten und mein Kochfeuer entfachen, als ich von einer Nachbarbucht ein seltsames, mir aber vertrautes „Kratzgeräusch“ wahrnahm – Offenbar war ich nicht alleine, doch wundersam war nur, das dieses „Kratzgeräusch“, über fast eine Stunde anhielt.
Neugierig und etwas irritiert, beschloss ich nach dem rechten zu sehen, es könnte ja auch ein Flußvogel in Not sein.
So folgte ich dem Kratzen und fand einen jungen Mann, welcher offenbar verzweifelt versuchte, seit über einer Stunde, mit einem Feuerstarter und einem Messer, seinen Esbit-Kocher zu Starten.
Nach dem ich ihm eine ganze Weile amüsiert, bei diesem versuch zusah, fasste ich mir schlussendlich ein Herz und sprach ihn an.
So kamen wir dann ins Gespräch, bei welchem er mir voller Überzeugung etwas von „Bushcraftig“ erzählte während er aus der Elbe sein Trinkwasser holte.
Als er Anstalten unternahm, dieses dann auch noch unbehandelt trinken zu wollten, platzte mir aus lauter „sozialem Verantwortungsbewusstsein“ der Kragen und ich unterbrach, sein offenbar verwirrtes, Trinkvorhaben.
„Stopp...du willst den Mist doch jetzt nicht so trinken?, Ich habe wenig Bock drauf das dein stinkender Kadaver hier rum liegt und ich mich am Ende, den Behörden noch erklären muss, warum ICH, mehr oder weniger neben einer Leiche penne!
Erschrocken zuckte er zusammen, auch wenn er offensichtlich nicht ganz verstanden hatte worum es mir in meinem Worten ging – denn er setzte erneut seinen Becher zum Trinken an!
Dieses Mal sah ich mich gezwungen, ihn körperlich von diesen Blödsinn abzubringen! Nach dem er sich wieder etwas aufgerappelt hatte, setzte ich mich zu ihm in den Sand und begann zu erklären!
„Wasser aus Elbe, mit viel Dreck und der Toten Wildsau etwas weiter oben – NICHT GUT!!!!“
Er verstand! Ich zeigte ihm eine andere Stelle, Oberhalb der toten Wildsau, doch auch hier war das Wasser alles andere als sauber!
Ich zeigte ihm Möglichkeiten sein Wasser zu filtern und er erschrak erneut, als er sah welche grünen Rückstände im Wattefilter zu finden waren!
Nach dem wir das Wasser ein paar mal gefilterte hatten, sollte er es Abkochen und anschließend, nur zur Sicherheit, noch einmal mit „Romin-Tropfen“ entkeimen! Hierbei gestand er, was ich bereits längst wusste – Er hatte gar kein Feuer zum abkochen! Also nahm ich ihn mit in mein Lager, zeigte ihm Birkenrinde, Kienspan und Kleinholz und wie man mit seinem Feuerstarter hieraus, Feuer machen konnte.
Als wir so da saßen und auf das Wasser warteten, offenbarte er sich mir – Er habe alle Folgen von Survival-Duo, Bear Grylls und Survivalman auf DMAX gesehen...war zuvor aber noch nie draußen und überlege jetzt stark, ob dies überhaupt eine gute Idee war!
Angesichts dieser, seiner Aussagen, überlegte ich, ganz kurz, ihn evtl. doch in der Elbe zu ersäufen - verwarf diesen Gedanken aber ganz schnell wieder, als mir der damit verbundene Behörden-Papierkram in den Sinn kam – Zugegeben, evtl. dachte ich auch an meine ersten Versuche, vor einigen Jahren – Ich stellte mich sicherlich auch nicht unbedingt viel Intelligenter an, obwohl ich wenigstens ein Feuerzeug mit hatte!
Als das Wasser endlich fertig war, bekamen wir Hunger. Ich wollte grade aufstehen um mir einen Fisch und ein paar Brennnesseln, wilden Knoblauch und evtl. ein paar Bucheckern zu beschaffen - Als dieser Typ seinen Esbit-Kocher anzündete, ein 5 teiliges Topfset (natürlich noch unbenutzt) sowie 3 Dosen mit Fertigessen aus seinem Riesenrucksack zerrte!
Ich tat interessiert, was er denn da so alles mit habe und versenkte kurz darauf, mit dem Satz „Du willst Bushcraft, du bekommst Bushcraft“ seine drei Gulasch-Dosen in der Elbe!
Ob ich mir wirklich sicher war, was ich da tat? Ich glaube nicht!
Und nach dem ich ihn etwas beruhigt hatte, nahm ich ihn mit zum Fischen – Ein Haken aus einer Büroklammer, etwas Paracord, ein kleiner Stein und ein Korken als Schwimmer und nach 20 Minuten hatten wir den ersten Fisch, von 3 weiteren in der nächsten Stunde. Dazu kamen Brennnesseln und wilder Knoblauch, welche ich nebenbei, beim dem Angeln am Ufer pflückte.
Als Essen gab es dann „gegrillten Fisch mit einem Brennnessel/Knoblauch Pesto“ - Ich war satt, und er verblüfft das er ohne seine drei Gulasch-Dosen überlebte.
Wir saßen noch eine Weile, als es dämmerte und er wie von Sinnen um sich schlug – Als ich ihn verwirrt ansah sagte er nur „Mücken!!!“ - Ich lachte, stand auf, ging zum nahen Waldrand und sammelte Farne. Als ich zurück kam, versuchte er immer noch die Mücken auszurotten, indem er, wie geisteskrank, mit den armen in der Luft herum wedelte und versuchte jede Mücke einzeln zu erschlagen!
Er staunte nicht schlecht, als ich etwas Glut aus dem Feuer holte und diese, mit den mitgebrachten Farnen, bedeckte - woraufhin die Mücken verschwanden.
Als wir so am Feuer saßen, verdauten und auf die inzwischen nächtliche Elbe schauten, begann er zu erzählen, von seinem Leben und der Familie - „Vater Banker, Mutter Hausfrau, er Tobias und Student im 3. Semester Architektur, an der Hochschule Anhalt, hier in Dessau“
Da saß ich also, mit so einem verkannten Künstler, irgendwo in der Botanik rum und versuchte diesen, davor zu bewahren, sich in dieser Nacht, ausversehen umzubringen – „Na Halleluja!“ dachte ich mir und schlief sanft ein, während er mir grade versuchte, etwas über „Walter Gropius“ zu erzählen.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war er weg und ich dachte schon, alles sei nur ein unheimlicher Traum gewesen – Bis ich bemerkte das seine komplette Ausrüstung noch da war.
Er konnte also nicht so weit weg sein!
Als ich grade im Begriff war, mich aus meinem Trab zu rollen, kam er auch schon angelatscht, Rief „Guten Morgen“ und kam zu mir! - „Ich habe Eicheln gesammelt“, sagte er voll stolz zu mir!
Etwas entrückt, auf Grund diese schieren Unmenge an Informationen, so kurz nach dem aufwachen, sagte ich nur „Ähm...aha und wo zu genau???“ und er offenbarte mir, sein Vorhaben daraus „Eichelkaffee“ zu machen...
Ich grinste und sagte zu ihm „Willkommen in der Moderne“ während ich ihm 3 von den einzeln portionierten und abgepackten „Instant Espresso-Sticks“ reichte, die ich, wie immer, in der Hosentasche hatte – Der Morgen macht bekanntlich den Tag und ein Morgen ohne Kaffee, ist ein ganz beschissener Morgen!
Nach dem Kaffee, bauten wir das Lager ab, verabschiedeten uns und ich schenkte „Tobias“ zum Abschied mein Feuerzeug und riet ihm dringlichst an, sich doch noch mal etwas mehr mit der Bushcraft-Theorie zu befassen, bevor er das nächste mal, hals über Kopf, aufbrechen würde!
So gingen wir unserer Wege, er nach Süden, ich nach Norden und wir sahen uns nie wieder.
Doch manches mal, wenn ich jetzt unten am Elbestrand unter meinem Trab liege, muss ich an ihn denken. Neulich sah ich sogar am anderen Flußufer, weit entfernt, den Schein eines kleinen Feuers und eine Gestalt die davor saß und auf die nächtliche Elbe zu sehen schien – evtl. war es ja Tobias, der gelernt hatte mit einem Feuerstarter umzugehen … oder einfach das Zippo nutzte das ich ihm zum Abschied, an jenem Morgen, gab!
Und vielleicht liest er dies hier und trifft man sich mal wieder, im „Auenland, am Elbestrand, zwischen Dessau und Coswig.
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Der Wandervogel