
Was ist man, wenn man an einem wundervollen Sonntagmorgen bei wolkenlosem, blauem Himmel und 25°C auf einem Wanderparkplatz am Waldrand steht und sich in mollig warmen FleeceOveralls und zusätzlich noch dicke, hochgeschlossene und
fast wasserundurchlässige KunstfaserOverals quält, die Sandalen gegen robuste Gummistiefel mit Stahlkappen tauscht und dann im Wald verschwindet?
Ganz klar: verrückt oder Höhlenforscher! Wahrscheinlich beides...
Mich hat der Virus „Höhle“ schon vor einigen Jahren befallen und wen er einmal hat, den lässt er nicht mehr los. Doch was genau sind eigentlich Höhlen und was machen wir da drin?!? Schließlich ist eine Höhle meist eine lehmigschlammignasse Umgebung mit durchschnittlich um die 8°C und extrem hoher Luftfeuchtigkeit – also alles andere aber bestimmt kein gemütlicher Ort!
Wenn im Volksmund von einer „Höhle“ gesprochen wird, ist tatsächlich nicht immer eine echte Höhle damit gemeint. Sehr häufig werden auch gerne von Menschenhand geschaffene, längst stillgelegte Bergbaustollen damit verwechselt. Eine Höhle hingegen ist ein natürlich entstandener Hohlraum im Gestein.
Höhlen entstehen zumeist in bestimmten, wir sagen verkarstungsfähigen, Gesteinen. Dies ist insbesondere Kalk, aber auch Gips. Aber auch im Sandstein oder Basalt kommen Höhlen vor. Sogar im Eis können sich Höhlen bilden. Im Alpenraum und in
unserer Mittelgebirgslandschaft gibt es vorwiegend Kalksteinhöhlen. Man unterscheidet zwischen Primär und Sekundärhöhlen. Primärhöhlen sind mit der Gesteinsbildung entstanden (z.B. als Gasblasen in erkaltender Lava), Sekundärhöhlen sind danach z.B. durch Auswaschung des vorhandenen Gesteins entstanden.
Die Entstehung einer Karsthöhle beginnt meistens mit Rissen und Klüften, die auf Grund tektonischer Bewegungen im Gestein, also z.B. der Auffaltung der Gebirge und auch späteren Bewegungen im Fels entstanden sind. Für den weiteren Ausbau der Höhle ist dann Wasser verantwortlich. Fällt nämlich Regen auf humusreichen Waldboden, wird das Regenwasser sauer. Diese, wenn auch sehr schwache, Säure reicht dann aus, um beim Abfließen durch die Gesteinsrisse etwas vom Kalkstein aufzulösen und auszuschwemmen. Die Höhle wird größer. Mitunter sind auch ganze Bachläufe oder sogar unterirdische Flüsse mit ihrer mechanischen Kraft an dem Prozess der Höhlenentstehung beteiligt.
Da, wo das Wasser an der Höhlendecke Tropfen bildet, die irgendwann dann zu Boden fallen, kommt es zu einem umgekehrten Prozess, der Versinterung: Kalk setzt sich rund um die Tropfstelle wieder ab, ein Tropfstein ist geboren! Mit der unvorstellbaren Geschwindigkeit von manchmal nur einem Millimeter in zehntausend Jahren wächst der von der Decke herabkommende Stalaktit seinem Gegenüber, dem vom Boden nach oben wachsenden Stalagmit entgegnen. Sofern dieses aufeinander zuwachsen nicht gestört wird, werden sich beide Tropfsteine irgendwann zu einem zusammenhängenden Gebilde vereinigen.
Außer den Tropfsteinen gibt es aber auch noch eine Vielzahl von anderen Sinterformen: da sind ganze Höhlenwände und Decken mit zarten, zerbrechlichen Kalzitkristallen in Form von schneeweißem Blumenkohl oder Knöpfchensinter überzogen, an anderer Stelle bildet sich ein perlmuttartiger Überzug, die Mondmilch, auf dem Gestein. Mächtige, transparente Sinterfahnen trennen als „Gardinen“ ganze Höhlenräume. An anderer Stelle wachsen zerbrechliche Makkaroni oder filigrane Excentriques.
Irgendwann jedoch, wenn die Hohlräume eine bestimmte Größe erreicht haben oder auch durch erneute Bewegungen im Gestein, kann es natürlich auch zu Instabilitäten kommen. Felsplatten oder Felsblöcke verlieren ihren Halt und stürzen auf den Höhlenboden. Stürzt ein kompletter Hohlraum in sich zusammen, kann dies unter Umständen an der Erdoberfläche als sogenannter Erdfall oder Einsturzdoline beobachtet werden.
Diese Vorgänge, die ich hier nur grob angerissen habe, sind aber durchaus noch weit komplexerer Natur und spielen sich in Zeiträumen ab, die in zehn-, ja hundertausenden von Jahren gerechnet werden.
Natürlich ist es ein wunderbares Erlebnis, den Anblick dieser faszinierenden Kristall bzw. Sinterformen zu genießen. Es hat auch etwas, wenn man als garantiert erster Mensch einen bisher unbekannten Höhlenraum betritt. Aber im Gegensatz zu sogenannten Höhlentouristen treiben den Höhlenforscher andere, vordringliche Zwecke in die Höhle. Unsere Aufgabe ist nicht nur Höhlen zu suchen und zu finden, sie werden auch tatsächlich erforscht. Es wird von uns also für die Nachwelt Wissen über die Höhle in den sogenannten Höhlenkatastern angesammelt und zugänglich gemacht. Dies hat durchaus einen sehr vielfältigen Bezug zu unserem täglichen Leben! Allein schon durch die Vermessung von Höhlen konnten z. B. in manchen Wohngebieten Flächen von der Bebauung ausgeschlossen werden, weil Höhlenforscher dort in Bodennähe Ausläufer von Höhlen festgestellt haben. Auch
das Thema Grundwasser bzw. Trinkwasser ist von elementarer Bedeutung.
Höhlen sind aber auch Lebensräume!
Prinzipiell kann man in Höhlen drei verschiedene Sorten von Bewohnern finden. Abgesehen von Tieren, die nur zufällig in eine Höhle kommen, gibt es Tiere, die sich den halbdunklen Eingangsbereich als Lebensraum ausgesucht haben. Hierzu zählen viele Spinnenarten wie zum Beispiel die Herbstspinne Meta menardi aber auch Fliegen und Stelzmücken wie die häufig anzutreffende Rheinschnake. Dann gibt es Tiere, die nur zeitweise im dunklen Bereich der Höhle leben. Bekanntester Vertreter ist hier sicher die Fledermaus, die in Höhlen überwintert. Auch Füchse und Dachse können manchmal in Höhlen angetroffen werden. Letztendlich bietet eine Höhle aber auch einer Vielzahl von Tieren Lebensraum, die sich an das Höhlenklima und die Dunkelheit vollständig angepasst haben. Beispiele sind der Grottenolm, Grundwasserflohkrebse oder Springschwänze. Viele dieser Tiere sind dabei so klein, dass sie nur unter dem Stereomikroskop bestimmt werden können. Daher werden bei Höhlenbefahrungen regelmäßig auch Boden oder Wasserproben für biospeläologische Untersuchungen entnommen. So können in einigen Höhlen dann über 80 verschiedene Tierarten nachgewiesen werden!
Wie man sieht ist eine Höhle also nicht nur ein Loch in nacktem Stein. Vielmehr ist sie ein äußerst empfindliches Geotop und die weitgehend unberührte Heimat einer großen biologischen Artenvielfalt. Sich in einer Höhle zu bewegen erfordert daher ein hohes Maß an Wissen über Höhlen. Zur Sicherheit des Höhlengängers aber auch zur Erhaltung der Höhle selbst! So ein kleiner, in zehntausenden von Jahren gewachsener Blumenkohlsinter kann mit einer einzigen, sachten Bewegung zerstört werden und ist für immer verloren. Es lohnt sich auch nicht, solche Sinter aus einer Höhle zu brechen und als Schmuck mit nach Hause zu nehmen. Sie sind nur im Klima der Höhle wirklich schön und würden in der trockenen, warmen Wohnungsluft sehr schnell zerfallen. Aus diesem Grund haben sich Höhlenforscher zur Regel gemacht, nichts in einer Höhle zurück zu lassen was nicht hinein gehört, nichts mit herauszunehmen, was in die Höhle gehört und nach Möglichkeit durch schonende Befahrungen nichts an der Höhle zu zerstören.
Grade bei den Befahrungstechniken werden an einen Höhlenforscher dabei hohe Ansprüche gestellt. Schließlich führt, von Schauhöhlen abgesehen, kein bequemer Weg durch die Höhle. Vielmehr windet man sich auf Bauch oder Rücken liegend
durch enge, körperumschließende Tunnel, sogenannte Schlufe, muss über loses Geröll steigen, steile Hänge überwinden und sich in senkrechten Schachtpassagen abseilen und wieder am Seil aufsteigen. Dabei muss dann auch noch aufgepasst werden, dass man nichts von dem schönen Sinterschmuck zerstört oder verschmutzt.
Hier liegt auch ein besonderes persönliches Risiko. Schon ein umgeknickter Fuß kann die selbständige Rückkehr des Höhlenforschers unmöglich machen. Je nach Tiefe der Höhle kann es dann Stunden, ja sogar Tage dauern, bis Hilfe von außen da ist! Deshalb trainieren Höhlenforscher auch regelmäßig Techniken der Kameradenhilfe und Höhlenrettung.
Mit Sorge wird daher auch die Entwicklung des Geocaching beobachtet! Nicht selten werden nämlich mittlerweile Höhlen als Locations für Caches missbraucht. Da die meisten Geocacher aber nicht wissen, wie empfindlich eine Höhle ist, wird hier, wenn
auch ungewollt und unbeabsichtigt, teilweise ein nicht wieder gutzumachender Schaden angerichtet. Ganz davon abgesehen, begeben sich die Geocacher selbst auch aus Unwissenheit in eine nicht unerhebliche Gefahr!
Eine falsche Einschätzung der Umgebung „Höhle“ mit ihren Bedingungen und Gefahren führt automatisch zu einer Fehleinschätzung des eigenen Könnens und der nötigen Ausrüstung. Man muss sich allein schon darüber im Klaren sein, dass man sich in einer Höhle nicht einfach auf den durchgekühlten Boden setzen oder legen und auf Hilfe warten kann. Schon nach nur einer viertel Stunde droht die Kälte mit dem Tode! Manch technische Ausrüstung, wie zum Beispiel die vielfach verwendeten
Bergsteigergurte, die man vom Klettern her kennt, sind in einer Höhle vollkommen ungeeignet und eher eine Gefahrenquelle.
Höhlenforschung hat daher vieles mit dem Tauchen gemeinsam: das technische Eindringen und Überleben in eine dem Menschen absolut feindliche, dafür aber faszinierende Umgebung. Genauso wie mittlerweile die Tauchverbände Naturschutz betreiben um Riffe und Tauchgründe zu erhalten ist es in der Höhlenforschung die selbstgestellte Aufgabe der Höhlenvereine und Höhlenverbände die Höhlen zu erhalten.
Wer an Höhlen ernsthaft Interesse hat und gerne einmal bei einer entsprechenden Befahrung oder sogar an der Erforschung teilnehmen möchte, kann sich auf den Internetseiten des Verbandes der deutschen Höhlen u. Karstforscher e.V. (http://www.vdhk.de) informieren und auch kompetente Ansprechpartner in seiner Nähe finden.
Auf der Seite des Höhlenrettungsverbundes Deutschland (http://www.hrvd.de) kann der deutschlandweite Alarmplan der Höhlenrettung ausgedruckt werden. Er sollte von allen Höhlengängern im Fahrzeug mitgeführt werden um Notfalls schnell kompetente Hilfe anfordern zu können.
Westwood
Comments 9
Chrissi
Sehr informativ! Danke!
Chachapoya
Klasse Artikel, krabbele auch in jeder Höhle herum, wo es irgend möglich ist. Danke !
Jan
Waren dieses Jahr schon 2x in der fränkischen, 1x in der sächsischen Schweiz und 1x Maginot. Ach und 1x mit Dir in der Schlucht und die Nebel lockt mich ja auch noch. Ich liebe es unter der Erde zu sein. thx
wandervogel
Sehr schöner Beitrag...selbst wenn ich persönlich, jeden alten NVA-Bunker einer natürlichen Höhle vorziehen würde!
smeagol
Sehr guter Beitrag! Vielen Dank.
benbushcraft
Sehr informativ. Gefährliche Caches sollten gemeldet werden.
VAU
Mir kommt der gelbe Gurt so bekannt vor...
Wildschwein
Schöner Beitrag und interessant zu lesen
Ilves
Super Artikel! Vielen Dank.